Allein im Klassenraum - LVZ Artikel vom 13.01.21

- Wie geht Schule in Zeiten des Corona-Lockdowns? Ein Blick ins Evangelische Schulzentrum zeigt, wie trotz gebotenem Abstand Unterricht möglich ist und Schüler und Lehrer im engen Kontakt bleiben.
LVZ - 13.01.2021, S. 31

Bad Düben. Den Morgen startet Jenny Reinhardt wie gewohnt. Die Geschichtslehrerin betritt kurz vor 8 Uhr den Raum der 9-2.  Sie legt Materialien bereit, schaltet die digitale Tafel an. Ein freundliches „Guten Morgen“ würde unerwidert verhallen. Die 32-Jährige ist allein. Jenny Reinhardt  drückt am Laptop Tasten, startet das Konferenz-System BigBlueButton, mit welchem das Kollegium bereits im ersten Lockdown erste Erfahrungen gesammelt hat.  An diesem Morgen gibt es plötzlich technische Probleme. Erst nach und nach können sich die Neuntklässler zuschalten. Dann kann die erste von zwei digitalen Unterrichsstunden startet.

 Jenny Reinhardt knüpft an die letzte Stunde an. Es geht um den einstigen Reichskanzler und Außenminister Gustav Stresemann. Die Pädagogin hat sich für einen Lehrervortrag entschieden, nutzt sonst gern Schüler-Vorträge, Videos und Powerpoints – Projekt- und Gruppenarbeit gehe dagegen kaum. „Didaktisch bin ich eingeschränkt, muss das bei der Vorbereitung bedenken.“ Sie versuche, die Schüler weitgehend einzubeziehen. Der direkte Kontakt aber fehlt. „In der Schule kann ich auf Motivationsmangel anders eingehen.“ Jenny Reinhardt ist dennoch froh, so Lernstoff vermitteln zu können, schätzt, rund 90 Prozent des sonst vermittelten Wissens könne sie so überbringen. Auch wenn die technischen Möglichkeiten gut seien: „Es wäre eine  falsche Schlussfolgerung, zu sagen, der digitale kann den frontalen Unterricht ersetzen.“ Die Bildung sei weniger das Problem, „wir haben aber auch eine Beratungs- und Erziehungsaufgabe.“ Die Politik habe da leider kaum Konzepte parat.

Jenny Reinhardt wendet sich nun wieder den Schülern zu. In den letzten Minuten hat sie ein Video über den  den Staatsmann der Weimarer Republik gezeigt. Feedback gibt es auf Knopfdruck. Die Schüler seien zwar angehalten, sich zu zeigen.  Je älter sie seien, desto weniger werde es aber genutzt.

 Rund einen Kilometer vom Schulhaus entfernt sitzt Hermine Voigt vor ihrem Tablet. Auf dem Esszimmertisch sind Hefter und Lehrbuch aufgeschlagen, das Video läuft. Ihre Mitschüler sieht Hermine nicht. Dafür hört sie ihre Stimmen, als nach dem Film zwei Zitate Stresemanns diskutiert werden sollen. Für Hermine ist der digitale Unterrichts die bestmögliche Übergangslösung, so können Aufgaben besser erklärt und Rückfragen gestellt werden. Trotzdem fehlt  der persönliche Kontakt. „Wir hoffen alle, dass wir bald wieder normal in die Schule gehen können“, sagt Hermine, „zu Hause ist es für viele schwerer, konzentriert zu bleiben.“

Hilfreich ist das an den klassischen Schulalltag angelehnte Prozedere: Während vor den Weihnachtsferien nur die Hauptfächer unterrichtet wurden, werden nun bis auf Sport alle Unterrichtsfächer als digitale Schulstunden per Videoschalte umgesetzt. Funktioniert das gut? „Kommt ganz auf den Lehrer an“, meint Hermine, „viele nutzen die digitalen Möglichkeiten voll aus, einigen älteren fällt das etwas schwer.“ Was ihr Sorge bereitet, ist der verlorene Stoff –  besonders mit Blick auf die Besondere Leistungsfeststellung  im nächsten Schuljahr: Trotz aller Mühen der Lehrer ist es gerade in den Hauptfächern unmöglich, den kompletten Lehrplan durchzuarbeiten. Zudem weiß niemand, wann die Schule wieder aufmacht. „Die Lehrer machen uns Mut“, sagt Hermine, „aber im Hinterkopf bleibt doch immer die Ungewissheit.“

 9.30 Uhr ertönt die  Schulklingel wieder. Leonart Schmitt, der wie die meisten seiner Kollegen überwiegend von zu Hause aus unterrichtet, gibt den Zugang frei. Im Sekundentakt öffnen sich auf der Tafel neue Fenster: „Guten Morgen, Herr Schmitt.“ „Hallo, Herr Schmitt.“ Fröhliches Geplapper auf allen Kanälen. Der Lehrer gibt den der 5-1 ein paar Momente. Die meisten haben die Kamera an. Die Schüler können nicht nur ihn, sondern sich untereinander sehen. Das ist gewollt und wichtig, gerade jetzt, wo soziale Bindungen fehlen. „Meine Klasse ist sehr lebendig“,  gewährt  der Lehrer schmunzelnd einen Einblick, wie es sonst auch mal zugeht: „Laut ...“  Positiver wie praktischer Nebeneffekt: Während des Unterrichts sind die Mikros der Schüler aus. Nur, wer dran  ist, schaltet sich zu. Leonart Schmitt wechselt nun vom Deutschen ins Englische: „First of all I brought a little bag. My question for you is: What ist in this bag?“. Der 28-Jährige zeigt eine kleine Tüte in die Kamera. Die Schüler sollen erraten, welche Schulutensilien sich darin befinden. Es geht zu wie im normalen Unterricht. Tim meldet sich. „A Pencil?“, fragt er. „Ok. Very good. What else?“ Als nächstes sollen die Mädchen und Jungen Wörter so zusammensetzen, dass sie einen Satz ergeben. Neben den Schülern hat der Lehrer den Chat im Blick. Wer Fragen oder technische Probleme  hat, schreibt. Für Leonart Schmitt ist es ein ungewohnter Start in den Berufsalltag. Erst vor wenigen Monaten hat er sein Studium abgeschlossen. Das Lernen geht  für ihn nun weiter, denn um Digtales Lehren ging es an der Uni kaum.

 Eines der 18 Kinder am anderen Ende der Leitung ist Marie Sämisch in Krostitz. Da in ihrem Wohnort Naundorf bei Zschepplin kein Breitband anliegt, musste sich die Familie anders arrangieren: Mama Nancy oder Papa Heiko bringen die Elfjährige morgens „zur Schule“ zur Oma und holen sie abends ab; so ist sie tagsüber nicht allein. Auch wenn  die Sämischs Rechner und Kamera neu kaufen mussten, stellt die Online-Variante eine enorme Erleichterung  dar. „Im Frühjahr haben wir den Job des Lehrers übernommen, das war auf Dauer  anstrengend“, erzählt  Nancy Sämisch, die als Krankenschwester arbeitet. „Jetzt hat Marie einen geregelten Tagesablauf, Motivation und zumindest virtuellen Kontakt zu ihren Mitschülern.“ Der Unterricht am PC war zunächst ungewohnt: „Die meisten hatten Angst, etwas zu sagen oder die Kamera anzumachen, inzwischen haben wir uns daran gewöhnt.“ Marie ist der Live-Unterricht lieber als die Stapel von Arbeitsblättern wie im Frühjahr. Trotzdem freut sie sich darauf, endlich wieder „richtig“ zur Schule zu gehen.

Im Zimmer von Leiterin Doreen Model gehen derweil die Schulleiterin und  Elternsprecherin Jacqueline Walter auf Abstand. Symbolisch, weil corona-bedingt. Im wahren Leben ist es ein enges Miteinander. „Die Kommunikation war bisher gut, jetzt ist sie noch intensiver“, sagt Jacqueline Walter. Sie kennt die Sorgen der Eltern, ist selbst Mutter von Zwillings-Jungs der 8. Klasse. „Es gibt viele Fragen“, sagt sie: „Wie ist es mit der Notengebung? Wird der Lehrplan eingehalten? Ist das Pensum zu schaffen?“ Wie die Schule mit der Situation umgeht, kommt bei den Eltern gut an: „Lehrer und Leitung leisten hervorragendes. So haben die Kinder eine Struktur.“ Zu dieser gehören feste Termine für den digitalen Unterricht sowie die Klassenleiterstunde am Montag und der Wochenabschluss freitags.

 Doreen Model gibt das Lob gern zurück. Es sei beeindruckend, wie die Eltern mitziehen, Voraussetzungen schaffen, gemeinsam Lösungen finden, wenn es technisch Probleme gibt: „Sie stehen hinter uns, das tut gut.“ Die 44-Jährige ist auch dankbar, wie engagiert das Team ist. Es habe alle Freiheiten, „außer dem Lehrplan. Es ist für alle  ungewohnt, Noten- oder Lehrerkonferenzen, Absprachen zur Bildungsempfehlung – alles läuft digital, aber es funktioniert.“ An einem Wiedereröffnungskonzept mit hohen Präsenzzeiten wird derzeit schon gearbeitet. Für die Schulen ist nach den Winterferien voraussichtlich die Einführung von Wechselunterricht vorgesehen. „Für uns wär es rückschrittlich. Wir haben sehr gute räumliche Voraussetzungen, um ganze Jahrgänge in geteilten Gruppen parallel zu unterrichten und dabei die geltenden Hygienemaßnahmen einzuhalten“, so Model.

 

Von Kathrin Kabelitz
Redakteurin
 

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